Verstärken der positiven Erfahrungen im Team

In der Zusammenarbeit mit einem Kunden habe ich vom ersten Moment an bemerkt, dass in den Gesprächen der Teammitglieder die negativen Aspekte der Zusammenarbeit im Vordergrund standen und dass positive Aspekte unmittelbar nach dem Aussprechen durch negative Dinge relativiert wurden. Letzteres folgte oft dem Muster “ein gutes Feature unseres Produkts ist XYZ, aber XYZ hat auch Schwächen”. 

Diese negativ geprägte Kommunikation fand vor allem in der Gruppenkommunikation im Rahmen von Scrum-Regelmeetings statt; also im Daily Scrum, im Planning, in der Retrospektive und im Review. Wenn jedoch nur zwei Personen miteinander gesprochen haben, kamen viele positive Erfahrungen ans Tageslicht. Am Anfang bin ich eher zufällig darauf gestoßen, später habe ich bewusst danach gesucht und mich z.B. in Pair-Programming-Termine als Zuhörer gesetzt.

Ich habe ein Muster erkannt: In der Gruppe dominierten die negativen Aspekte der Zusammenarbeit, während im Zweiergespräch die positiven Aspekte im Vordergrund standen. Als sich mein Eindruck nach und nach bestätigt hat, habe ich mich entschieden, diesen positiven Erfahrungen mehr Sichtbarkeit im Team zu verschaffen.

Ich habe einen leeren Karton für Kopierpapier bunt beklebt und mit einem Einwurfschlitz versehen. Dann habe ich Karten im Stil von Kudo-Cards ausgedruckt und neben die Box gelegt. Das Team habe ich aufgefordert, alle positiven Erlebnisse unverzüglich auf eine Karte zu schreiben und in die Box zu werfen.

Nach jedem Sprint haben wir die Box gemeinsam am Ende der Retrospektive geöffnet und alle eingegangenen Karten vorgelesen. Anschließend haben wir aus allen Karten eine Karte verdeckt gezogen. Die Person, die auf der Karte genannt war, hat ein kleines Geschenk als Anerkennung bekommen. Dabei handelte es sich nicht um etwas Wertvolles. Die symbolische Bedeutung sollte im Vordergrund stehen.

Gegenüber den ursprünglichen Kudo Cards habe ich im Laufe der Zeit Änderungen vorgenommen: Ich habe alle Kartenüberschriften, die meiner Meinung nach eher die vertikale Kommunikation unterstützen, durch geeignetere ersetzt. So verzichte ich heute gänzlich auf Karten, die Lob ausdrücken. Statt Lob sollte meiner Meinung nach Dank ausgedrückt werden. Des Weiteren habe ich die Werte des Teams in die Überschriften übernommen. Beispielsweise hat ein Team für sich den Wert “Mut” als besonders wichtig identifiziert. Daraus habe ich eine Karte mit der Überschrift “Das war mutig” gemacht. Eine andere Karte trägt die Überschrift “Ich arbeite gern mit Euch”. 

Die Karten eines Sprints habe ich jeweils gerahmt und im Teamraum aufgehängt. Damit die Wände nicht irgendwann komplett voller Karten hängen (und die Kosten für Bilderrahmen nicht explodieren), konnte man jeweils die letzten vier Sprints an der “Wall of appreciation” bewundern. Die älteren Karten habe ich gesammelt und in einer Retrospektive zum Jahresende noch einmal gemeinsam mit dem Team betrachtet. Sie bildeten somit eine Teamchronik und die Grundlage für den Rückblick auf einen längeren Zeitraum, wobei dieser Rückblick ausschließlich aus positiven Erinnerungen bestand.

Die Wirkung der Karten war sehr positiv. Dabei spielte das ritualisierte Öffnen der Box, Vorlesen und Würdigen der jeweiligen Ereignisse eine große Rolle. Zu der Würdigung trug auch das Einrahmen der Karten bei. Um eine positive Wirkung zu erzielen, genügt es nicht, die Karten ausfüllen zu lassen. Als Teamleiter, Coach oder Scrum Master ist es entscheidend, den Karten einen besonderen Stellenwert zu geben.

Eine Ergänzung für verteilte Teams: Zu Beginn der Pandemie wurde aus dem co-located Team ein verteiltes Team. Ich habe die Box zum Sammeln der Karten durch ein Google Form ersetzt. Immer, wenn ein Teammitglied eine virtuelle Karte ausgefüllt hat, wurde sie in den Team-Chat übertragen. Das Ritual des Vorlesens aller Karten, die sich während des Sprints angesammelt haben, haben wir beibehalten. Das folgende Bild zeigt ein Mosaik der Karten, die im Laufe des ersten Pandemie-Jahres im verteilten Team zusammengekommen sind … One Year of distributed happiness and appreciation.

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Busfaktor trifft Diversität - Wie cross-funktional darf das Team sein?

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Entscheidungshoheit im Team